Bingen - Rüdesheim
 
Hindenburgbrücke
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Eisenbahnbrücke Bingen-Rüdesheim (Hindenburgbrücke)

"Ein aufmerksamer Beobachter, der [noch 1980] mit der Eisenbahn von Bingen nach Mainz fährt, entdeckt etwa 3 km hinter dem Bahnhof Bingen zwischen der Bahnlinie und dem Rheinufer, hinter Buschwerk und Bäumen verborgen, übereinander geworfene Betontrümmer und einige steinerne Brückenbogen. Es handelt sich um die letzten Reste eines gewaltigen Brückenbauwerks, welches einst an dieser Stelle den Rheinstrom überspannte. Die Hindenburgbrücke, wie dieses Bauwerk genannt wurde, und die auf sie zulaufenden Eisenbahnstrecken aus Richtung Rüdesheim, Geisenheim, Gau-Algesheim und Langenlonsheim stellten den Schlußpunkt in der Entstehung des Eisenbahnnetzes im Raum Bingen/Rüdesheim dar." (Nachrichten der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e.V., 1982, Nr. 49)

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Eisenbahnbrücke Bingen - Rüdesheim

Nachdem sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beiden Seiten des Rheins das Eisenbahnnetz ausgedehnt und verdichtet hatte, fehlte zur Jahrhundertewende noch der Zusammenschluß der links- und rechtsrheinischen Bahnen, für die es zwischen Mainz und Koblenz auf einer Strecke von 100 Kilometern keinen Übergang gab. Zwar sprach sich die Berliner Regierung 1900 für den Bau einer Brücke bei Bingen aus, das aufgrund seiner Lage an der Nahemündung und dem Zusammentreffen mehrerer Strecken als Standort bevorzugt war; dennoch dauerte es weitere elf Jahre, bis das Parlament Mittel für ein entsprechendes Projekt bewilligte. Uneinigkeit bestand unter den beteiligten Ländern Preußen und Hessen darüber, ob es eine Eisenbahn-, eine Straßenbrücke oder eine kombinierte Brücke werden sollte. Strategische Überlegungen sprachen für eine Eisenbahnbrücke, ein beschränktes Budget dafür, daß es nur eine Eisenbahnbrücke werden würde, deren Bau schließlich 1913 begonnen, am 16. August 1915 mit einer Einweihungsfeier abgeschlossen wurde.  

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Brückenkopf Rüdesheim (Photo: BAW)

Das später zu Ehren des als 'Siegers von Tannenberg' apostrophierten Reichspräsidenten Hindenburgbrücke genannte Bauwerk überquerte zwischen Bingen-Kempten und östlich von Rüdesheim den hier etwa 900 m breiten Rhein. Sie stützte sich auf sechs jeweils 20 m lange, 6 m breite, auf Senkkästen gegründete Flußpfeiler, von den einer auf der Ostspitze der Rüdesheimer Aue stand. Die beiden Hauptöffnungen über dem Strom waren Bogenfachwerkträger von je 169,4 m Stützweite. Sie ragten auf jeder Seite 7,7 m in die Nebenöffnungen vor, wo parallelgurtige Überbauten von je 77 m Länge eingehängt waren. Diese Überbauten stützten sich auf den Landseiten auf die Pfeiler der Vorflutöffnungen: Zur Strommitte hin waren sie in einen weiteren parallelgurtigen Überbau von 94,2 m Stützweite und jeweils 7,85 m Überkragung eingehängt. Die Gesamtlänge der Flußüberbauten betrug somit 787,5 Meter. Auf dem linken Rheinufer schlossen sich fünf, auf dem rechten vier massive, gemauerte Gewölbe von je 24 m lichter Weite an. Mit einer Länge von etwas über 1000 Metern einschließlich der Flutöffnungen war die Hindenburgbrücke nach der Rheinbrücke bei Wesel, welche einschließlich der Flutöffnungen 1933m maß, die zweitlängste Rheinbrücke.

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als Straßenbrücke 1920er Jahre

Nach dem 1. Weltkrieg untersagten die Alliierten zunächst den Eisenbahnverkehr und legten ledilich die Schienen mit Bohlen aus, um sie für den ihren eigenen Straßenverkehr nutzbar zu machen. Ab 1920 erlaubte die Reichsbahn auch zivilen Fahrzeugen den Verkehr, wobei sie für jedes Auto eine Gebühr  von 4 Reichsmark erhob, was zwar den Protest der regionalen Wirtschaft hervorrief, der Nutzung dennoch keinen Abbruch tat. Nach dem Abzug der Besatzungsmächte 1930 führte die Nutzung der Brücke sowohl als Eisenbahn- als auch Straßenbrücke zu Konflikten, die zur Sperrung für den Straßenverkehr und zum Ausbau der Zufahrtstrecken in den 1930er Jahren führte. Das Ende der Brücke kam mit einem Fliegerangriff auf Bingen am 13. Januar 1945, bei dem zunächst zwei der fünf linksrheinischen Flutöffnungen zerstört wurden. Wie an anderer Stelle auch richteten deutsche Pioniertruppen auf dem Rückzug der Wehrmacht die größten Zerstörungen an, die dazu führten, daß man sich nach Kriegsende auf die Beseitigung der Trümmer im Strom konzentrierte, die ein Schiffahrtshindernis darstellten. Obwohl die Zufahrtstrecken lange Zeit erhalten blieben, konnte man sich nicht für einen Wiederaufbau entscheiden, der schließlich sang- und klanglos zu den Akten gelegt wurde.

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Abriß eines Strompfeilers (Photo: BAW)
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