Rotterdam
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De Boeg
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René ten Dam schrieb über den historischen Hintergrund: "Der 2. Weltkrieg wurde nicht nur an Land geführt, sondern zu einem großen Teil auch auf See. Neben den uniformierten Streitkräften war ziviles Personal, das auf tausenden Schiffen in verschiedenen Funktionen und Stellungen arbeitete, daran beteiligt. Zahlreiche Seeschlachten fanden auf dem Atlantik statt, auf dem Handelsschiffe militärisches und nicht-militärisches Personal ebensolches Material und Menschen beförderten, darunter hunderte niederländischer Schiffe, die bei Ausbruch des Krieges in fremden Häfen lagen oder auf See waren und deren Besatzungen nicht mehr in die Niederlande zurückkehrten. Im Laufe der Kriegsjahre waren etwa dreihunderttausend Küsten- und Hochseekonvois unterwegs. Sie waren bevorzugte Beute der deutschen U-Boote. Die deutsche Marine versenkte an die dreitausend Schiffe mit vierzehn Millionen Tonnen. Von diesen wurden 90% im Atlantik versenkt. Der überwiegende Teil, mehr als zweitausend-sechshundert, waren Handelsschiffe. Auf niederländischer Seite gingen rund vierhundert Fischerboote, Handels- und Kriegsschiffe verloren.

Erst 1943 entschied sich die 'Atlantikschlacht' zugunsten der Alliierten und auch dies nur unter großen Mühen und Verlusten an tausenden Toten. Die Verluste mußten indes bis zum Ende des Krieges getragen werden. Deutsche U-Boote torpedierten weiterhin, während die Schiffe zudem das Risiko trugen, auf eine Mine zu laufen.

Die niederländische Handelsflotte war auch im Pazifik und im Indischen Ozean aktiv, wo ebenfalls Schiffe verloren gingen.

Die Niederlande zählte siebentausend Opfer am Ende des Krieges. Viele davon verschwanden in den Wellen in einem nassen Grag, unter ihnen etwa dreitausendfünfhundert zivile Opfer, von denen vierzehnhundert ausländischer Nationalität waren. Sie verloren ihr Leben auf fast fünfhundert versenkten Handelsschiffen.

Die Niederlande verzeichnen einige Denkmale in Erinnerung an die Angehörigen der Handelsflotte, die während des 2. Weltkriegs umkamen. Beispielsweise gibt es individuelle Denkmale von Schiffahrtsgesellschaften und lokale Monumente für die Opfer eines Ortes oder Tafeln, die an ein bestimmtes Schiff erinnern. All diesen Opfern und jenen, denen nicht gedacht wurde gilt das Monument der nationalen Handelsschiffahrt, auch De Boeg genannt.

Nach der Befreiung des Landes ergriff die Gemeinschaft der Schiffahrtstreibenden von Rotterdam die Initiative, ein Denkmal in Erinnerung an die Seeleute zu errichten, die ihr Leben auf See gelassen hatte. Der Plan wurde Teil eines Generalplans der Nationalen Denkmalskommission für Kriegsdenkmale. Die erforderlichen Mittel kamen von Unternehmen in Rotterdam und einer nationalen Sammlung, aus der auch anderen nationale Denkmale finanziert wurden.

1951 lud die Stichting Herrijzend Rotterdam (Wiederaufbaustiftung) zu einem geschlossenen Wettbewerb für ein nationales Denkmal in Erinnerung an die dreitausendfünfhundert Seeleute ein, die ihr Leben während des 2. Weltkriegs auf See gelassen hatten. Eingeladen waren vier Bildhauer und zwei Architekten. Zunächst viel die Wahl auf das Ruggegraat (Rückgrat) von Willem Reijers. Maßgebliche Zeitungen und die Öffentlichkeit fanden das Konzept aber zu abstrakt und zu schwer verständlich. Daher erwählte die Kommission stattdessen das Projekt von Federico Carrasso, einem italienischen Künstler und antifaschistischem Flüchtling. Seine Interpretation bestand aus einem 45 Meter hohen stilisierten Schiffsbug, der aus versteinerten Wellen herauswächst. Die Dimensionen des Monuments erforderten technische Berechnungen bezüglich der Widerstandsfähigkeit der Konstruktion bei unterschiedlichen Windstärken. Sie hatten großen Einfluß auf die letztendliche Struktur, die aus einer Stahlkonstruktion besteht, die mit schwarzen kanadischen Aluminiumplatten verkleidet ist, während die Bugwelle aus gegossenem Stahlbeton ist.

Das Monument wurde am 10. April 1957 durch Prinzessin Margriet enthüllt. Die Zeremonie im Umlegen eines Maschinentelegraphen der Erasmus, dem Boot, mit dem die Gesellschaft beim Denkmal eingetroffen waren. Der Klang des Telegraphen wurde elektrisch verstärkt, woraufhin das Tuch mit dem Worten "sie hielten ihren Kurs" fiel.

Das Fundament des Denkmals ruht im Damm. Der eigentliche Bug wurde von der Rotterdamse Droogdok Maatschappij gebaut und war 1956 fertig. Zu dieser zeit befand sich das Sperrtor am Eingang des Leuvehavens noch im Bau. Ein provisorischer Kanal zum Leuvehaven führte um das Denkmal herum, so daß es auf einer Insel zu stehen kam, die nur über eine hölzerne Brücke zu erreichen war. Schon vor der Enthüllung erhob sich eine Debatte, daß das Monument den Erfordernissen des Gedenkens nicht gerecht würde. Carrosso wurde gebeten, eine Figurengruppe in Bronze hinzuzufügen. Carrosso und die Stiftung konnten sich nur schwer mit dem menschlichen Element abfinden. Erst 1965 wurde es realisiert. Die acht Meter hohe Gruppe wurde ohne Zeremonie aufgestellt. 'Mit dieser Figurengruppe wollte der Künstler die Opfer und den Mut zum Ausdruck bringen, aufgrund deren die holländische Handelsmarine als Ideal der National angesehen wurde Der Rudergänger, drei andere Seeleute und ein Ertrunkener sind in einer äußersten Anstrengung vereint. Unter der Trosse, die dieses Band hervorhebt, wurde ein Relief gestaltet, das an einen Kielsog erinnert.'"

Federico Antonio Carrasso wurde 1899 in Carignano bei Turin geboren. Nachdem er in der Fiat-Autofabrik gearbeitet hatte, nahm er am 1. Weltkrieg teil. Als Mussolini in den 1920er Jahren an die Macht kam, floh er in die Niederlande. 1933 ließ er sich in Amsterdam nieder, wo er Mitglied des Kring van Nederlandse Beeldhouwers wurde. Neben dem Bug schuf Carrossa eine Anzahl öffentlicher Kunstwerke, wie z.B. den Prometheus (1947), eine zehn Meter hohe Skulptur in Erinnerung an die Athleten, die im 2. Weltkrieg starben, sowie die Todesengel für den Nieuwe Ooster (1955), Friedhof in Amsterdam. Er starb 1969.

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De Boeg, Basis
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