Wesel
 
Eisenbahnbrücke
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Eisenbahnbrücke Wesel (erbaut 1871/74)

"Als letzter deutscher Rheinübergang vor der holländischen Grenze verband die zweigleisige Eisenbahnbrücke bei Wesel die im Zuge von der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft erbaute Linie Hamburg-Venlo bzw. Wesel-Venlo. 

Die Lage der Brücke wurde durch verschiedene Projekte zwischen 1864 und 1868 festgelegt. Durch sich oft widersprechende Interessen der drei maßgebenden Behörden, der Militärbehörde, der Strombauverwaltung und der Eisenbahngesellschaft zogen sich die Verhandlungen so lange hin. Am 21. September 1868 einigte man sich in einer gemeinsamen Konferenz auf eine Überführung unterhalb der Festung Wesel. 

Mit Einschluß der Pfeiler und Widerlager hatte das Bauwerk eine Gesamtlänge von fast 2 Kilometern mit insgesamt 107 Öffnungen. Die vier Stromöffnungen hatten eine lichte Weite von je 98,29 m und die eisernen Überbauten wurden als Halbparabelträger ausgebildet. Anstelle einer Dammschüttung wurde rechts- und linksrheinisch eine Vielzahl von Viadukten gebaut, damit von den Festungsbauwerken aus das Vorgelände bestrichen werden konnte. 

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Eisenbahnbrücke Wesel - Brückenkopf

Die Bauarbeiten wurden in Einzel-Losen an Großunternehmer vergeben und die Gründung der Strombrücke in Regie ausgeführt. Der erste Spatenstich wurde am 10.Mai 1871 an der Baugrube des rechten Uferpfeilers ausgeführt. Vorher durchgeführte Baugrunduntersuchungen hatten ergeben, daß die das Rheinbett bildende Kies- und Sandschicht an der Brückenbnustelle im rechtsseitigen Flutgebiet bis auf durchschnittlich -7,0 m Weseler Pegel, im linksseitigen Flutgebiet auf durchschnittlich -9,5 m W.P. und an der tiefsten Stromstelle bis auf -7,50 m W.P. reicht. Darunter kam eine sehr mächtige und feste Lößschicht vor. Da an den Buhnenköpfen in der Nähe der Baustelle Auskolkungen bis auf -7,85 m W.P. vorkamen, war zu vermuten, daß auch an den Strompfeilerköpfen später mindestens ebenso tiefe, bis auf die Lößschicht reichende Auskolkungen vorkommen würden. Es galt nun zu ermitteln, ob diese Lößschicht mit einer gewöhnlichen Gründung mit Beton, Pfahlwand und Fangedamm genügende Tragfähigkeit und Sicherheit bot, oder ob man eine pneumatische Gründung in Erwägung ziehen mußte. Nach sorgfältigsten Untersuchungen in der Nähe der Brückenbaustelle, sowie aus Erfahrungen, die bei der Gründung der oberhalb bis Köln gelegenen Rheinbrücken, wo die Lößablagerung in ähnlicher Weise vorkam, gemacht worden waren, kam man zu dem Ergebnis, daß eine Beton-Gründung mit Fangedamm und Pfahlwand genügende Sicherheit bieten würde. Es wurde daher von einer Druckluft-Gründung abgesehen, auch weil diese bedeutend teurer war. Die Ufer- und Strompfeiler wurden auf -3,8 m bis -7,9 m W.P. gegründet und mit einer 30 cm starken Pfahlwand, die bis etwa 4 m unter die Betonsohle reichte, vor Unterspülungen geschützt. Außerdem wurden die Pfeiler noch durch ausgedehnte Senksteinschüttungen gesichert. Die Herstellung der durchschnittlich 5,50 m starken Betonschicht geschah mit Hilfe bis zu 12,6 m langer eiserner Trichter in Schichthöhen von 0,78 m. Für die Herstellung des Unterbaus und der Vielzahl von Viadukten benötigte man 3 1/2 Jahre Bauzeit. 

Im Frühling 1874 begann man mit der Aufstellung des eisernen Überbaus. Die Aufstellung geschah auf festen Gerüsten, in denen jede Öffnung durch fünf Pfahljoche in sechs kleinere Abteilungen von 18,83 m größter Weite von Mitte zu Mitte Joch geteilt war. Die Köpfe der Pfahljoche standen auf + 6,28 m W.P.. Darüber befand sich eine 5,65 m hohe Absprengung, die die darüberliegenden 2,20 m hohen Fachwerkträger stützte. Auf letzterem standen die Schraubenspindeln für die Aufstellung und das sonstige Gerüst. Zuerst wurden die Öffnungen I und II aufgestellt. Das Material wurde auf einem Schiff vom Ufer zur Verwendungsstelle geschafft und mit Hilfe eines schwimmenden Dampfkrans von 4 t Tragkraft gehoben. Die Öffnungen III und IV wurden zuletzt aufgestellt, wobei die Materialzuführung auf der Eisenbahn über die rechtsseitigen Anschlußbrücken erfolgte. Die Abrüstung einer Öffnung und der Einbau einer anderen dauerte insgesamt durchschnittlich 6-8 Wochen. Den eisernen Überbau lieferte die Firma Prange & Comp. zu Magdeburg-Oberhausen, und zwar einschließlich der Aufstellung zum Preis von etwa 600 Mark pro Tonne.

Am 7. Dezember 1874 fand eine Probebelastung der Brücke statt und am 24. Dezember 1874 erfolgte die polizeiliche Abnahme, bei der die Strecke Wesel-Venlo dem Betrieb übergeben werden konnte. Die Brücke war damals die längste Rheinbrücke und eines der bedeutensten Brückenbauwerke.

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Esienbahnbrücke Wesel (1926/27)

Im Jahre 1925 enschloß sich die Reichsbahndirektion Essen zu einem Neubau der Strombrücke, für deren Entwurf der Lastenzug N zugrunde gelegt wurde. Die Konstruktion der alten Brücke hatte den steigenden Verkehrslasten nicht mehr standhalten können und wies bereits bleibende Formänderungan an den Hauptträgeruntergurten auf. Die Brücke mußte deshalb erneuert werden. Eine Nachrechnung der Pfeiler und Widerlager ergab, daß diese die maßgebenden Verkehrslasten übernehmen konnten. Den Wunsch der Rheinstrombauverwaltung, zur Verbesserung der Schiffahrtsverhältnisse zwei Strompfeiler zu beseitigen, lehnte man aus wirtschaftlichen Gründen ab. Die sich beiderseits der Stromöffnungen anschließenden Flutbrücken aus Klinkergewölben verwendete man unverändert für die neue Brücke, da diese einer Belastung mit dem Lastenzug G genügten. Weil die alte Brücke einen schwachen Verkehr aufwies, konnte man den Neubau so planen, daß während einer Betriebspause die alten gegen die neuen Überbauten ausgewechselt wurden. Neben dieser Forderung war für die Wahl des Hauptträgersystems noch maßgebend, daß die beiden linksrheinischen Stromöffnungen von Rüstungen freizuhalten waren und die mittleren Strompfeiler mittig belastet werden sollten. 

Aus einer Reihe von untersuchten Systemen, Gerberträger und Träger auf zwei Stützen, parallelgurtig und mit gekrümmten Gurten, erfüllte das gewählte Fachwerksystem sowohl die wirtschaftlichen als auch die gestalterischen Forderungen. Die vier Stromöffnungen wurden durch zwei über 2 Öffnungen durchlaufend gespannte Fachwerkbalken mit parallelen Gurten überbrückt. Bei einer Stützweite der einzelnen Öffnungen von rd. 104,0 m ergab sich eine Feldweite von 9,00 m, welche bei einer Systemhöhe von rd. 10,50 m für die rautenförmigen Streben ein gestalterisch  gut abgestimmtes Aussehen und eine wirtschaftliche Querschnittsbemessung zur Folge hatte.

Bei der Statischen Berechnung wurden besondere Erkenntnisse über die Nebenspannungen an Fachwerkknotenpunkten und über die Aufnahme von Einspannungsmomenten der Querträger durch die Streben des Hauptträgers gewonnen.

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Eisenbahnbrücke Wesel

Auch die konstruktive Ausbildung der Endportale und der aus Montagegründen angeordneten Doppelpfosten über den Mittelstützen waren für die damalige Zeit beispielhaft. Für das Bauwerk wurde der erst 2 Jahre früher erstmalig für Brücken eingesetzte Baustoff St 48 verwandt. Die Brücke stellte somit ein bedeutendes Bauwerk aus St 48 dar. Die Einschränkung bei der Montage erforderte ein Montagegerüst neben den alten Überbauten. Zuerst wurden die beiden linksrheinischen Überbauten auf dem Montagegerüst montiert und über Verschiebebahnen gegen die alten Überbauten ausgetauscht. Der gleiche Vorgang wiederholte sich bei den übrigen Überbauten, sie wurden auch auf Montagegerüsten montiert und dann mit Hilfe von Schiffen auf die Verschiebebahnen an den Pfeilern aufgesetzt. Diese Arbeiten wurden ohne Schwierigkeiten ausgeführt. Die neue Brücke wurde am 15. Oktober 1927 in Betrieb genommen. 

Im März 1945 wurde sie durch Sprengung zerstört. Die Vorlandbrücken und anschließenden Dämme bestehen zur Zeit noch, während die zerstörten Überbauten und Pfeiler aus dem Fluß völlig entfernt wurden. Die Brücke wurde bis heute nicht wieder aufgebaut, weil sich der Verkehr nach dem Zweiten Weltkrieg in anderer Richtung entwickelte.

Prof.Dipl.-Ing. Hans-Fried Schierk, 100 Jahre feste Rheinbrücken in Nordrhein-Westfalen 1855-1955, pp.301ff
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rechtsrheinische Vorlandbrücke
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