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Hochrhein |
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![]() (Photo: S.Luber, 1971) |
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Man erhält verschiedene Geschichten, abhängig von Anfang und Ende. Unsere Geschichte beginnt am Bodensee bei Kilometer null und endet bei Kilometer eintausendsechunddreißig in der Nordsee. Womit auch schon angedeutet ist, welcher Rhein gemeint ist: der Rhein als moderne Wasserstraße zwischen Konstanz und Hoek van Holland. Der aufmerksame Leser mag sich fragen, warum Konstanz, warum nicht Rheineck oder Rorschach, wo der Alpenrhein in den östlichen Bodensee mündet, der nicht nur geographisch zum Rhein gerechnet wird, sondern als Rheinsee mit einem Seerhein auch die ethymologischen Merkmale des Rheins trägt und auf dem es von Booten und Schiffen regelrecht wimmelt? - Und wenn nicht von dort, warum ausgerechnet von Konstanz, wo bekanntlich zwischen Schaffhausen und Rheinfelden Wasserkraftanlagen jeglichen durchgehenden Schiffsverkehr blockieren? Was die erste Frage betrifft, kennt man die Länge der Flüsse sicher, seit es Vermessung gibt. Die Einteilung der Flüsse in Kilometerabschnitte entspricht zwar (bis auf wenige Ausnahmen) den tatsächlich gemessenen Abständen (entlang einer Vermessungslinie). Sie verfolgt aber einen anderen Zweck. Sie dient jedoch hauptsächlich zur Orientierung auf der Wasserstraße - sowohl denjenigen, die sie verwalten und instandhalten, als auch denjenigen, die auf ihr verkehren. Deshalb würde eine Kilometrierung des Alphenrheins keinen Sinn machen, denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß dort jemals Schiffe verkehren. Niemand kann ausschließen, daß sich die Verhältnisse ändern. Es wäre auch nicht das erste Mal. In der Geschichte des Rheins sind Umkilometrierungen häufiger vorgekommen. Meist hingen sie damit zusammen, daß die Zählung an der einen Staatsgrenze begann, um an der anderen zu enden. Zwar gilt der Rhein seit dem Wiener Kongress nach dem Völkerrecht als eine internationale Wasserstraße. Ungeachtet dessen bleibt jeder Staat für seinen Stromabschnitt zuständig, gleichsam als Zeichen der Wahrnehmung seiner sehr eingeschränkten Hoheitsrechte. Alte Zeugnisse finden sich am Ufer des Niederrheins in Gestalt der Myriametersteine. Sie wurden alle zehntausend Meter aufgestellt und gaben neben dem Abstand bis zur Landesgrenze die Höhe über dem Amsterdamer Pegel angeben. Was nun die zweite Frage betrifft, sie beantwortet sich mit dem Zweck fast von allein: Der Kilometer Null steht nicht umsonst in Konstanz (bei der Brücke über die Verbindung zwischen Boden- und Untersee). Er deutet vielmehr auf die Absicht, den Rhein bis zum Bodensee durchgehend für den Verkehr einzurichten. Eine enttäuschte Hoffnung, wie sich heute zeigt, die allerdings noch 1959 berechtigt schien, worauf die Gründung der Aare-Hochrhein Schiffahrt-AG schließen läßt. Entsprechende Pläne für die Kanalisierung des Rheins oberhalb von Rheinfelden bis zum Bodensee einschließlich der Anbindung Zürichs an die Nordsee über die Aare gab es tatsächlich. Sie rückten mit dem Bau des Grand-Canal d'Alsace in greifbare Nähe - um bald darauf in der Schublade zu verschwinden. Der Hochrhein, der von alters her befahren wurde, gehörte zu den schwierigen, gar gefährlichen Strecken, mit dem Mittelrheinabschnitt zwischen Bingen und Sankt Goar vergleichbar. Der Strom, der bei relativ großem Gefälle in ein schmales Tal einschneidet, wird an verschiedenen Stellen von Gebirgsschwellen gebrochen. Die bekannteste ist der Rheinfall bei Schaffhausen. Andere verschwanden im Stau oberhalb der Kraftwerke, die im Laufe des 20.Jahrhunderts entstanden. Zur Kanalisierung des Hochrheins, die neben einem übers Jahr gleichmäßigen Wasserstand berechenbare Stromverhältnisse gewährleistet, reichten Staustufen nicht aus. Größere Eingriffe, insbesondere beim Schaffhauser Rheinfall, stießen wiederum auf den Widerstand der Bevölkerung. Nachdem schon seit 1866 in Schaffhausen ein Wasserkraftwerk Elektrizität lieferte, dem 1895-98 ein weiteres in Rheinfelden gefolgt war, schien die Nutzung der Wasserkraft ein durchsetzungsfähiger Kompromiß, der den Bau weiterer Krafwerkanlagen in Laufenburg (1908-14), Eglisau (1915-20), Ryburg-Schwörstadt (1927-32), Albbruck-Dogern (1929-33), Reckingen (1938-41) und Rheinau (1952-55) nach sich zog. Nicht daß die Binnenschiffahrt und ihre Fürsprecher in Parteien, Wirtschafts-verbänden und Ministerien die Pläne der Hochrheinkanalisierung jemals völlig aufgegeben hätten. Die Entwicklung der Schiffahrt selbst begann Ende der sechziger Jahre in eine andere Richtung zu weisen. Beschleunigt durch die Ölkrise führten Rationalisierung, Firmenfusionen sowie die allgemeine verkehrspolitische Entwicklung Anfang der siebziger Jahre zu einer allgemeinen Stagnation im Wasserbau. In den fünfziger Jahren hatte man angeknüpft, wo man vor oder während des Krieges stehengeblieben war. Bis in die sechziger Jahre hinein verfolgte man sogar die Erweiterung des bestehenden Wasserstraßennetzes, zum Beispiel den Ausbau der Mosel und die Verlängerung des Rheinseitenkanals bis nach Mannheim nach Plänen, die teilweise noch vor dem 2. Weltkrieg erstellt worden waren. Ende des Jahrzehnts waren diese Pläne Makulatur. Die Frachtschiffahrt zog sich von den kleineren Flüssen wie der Lahn zurück. Die Entwicklung auf dem Hochrhein war zu diesem Zeitpunkt mit dem Bau des Kraftwerks Grenzach-Wyhlen (1907-1912) und der Schleuse Augst sowie der Errichtung der Staustufe Birsfelden 1952-1955 praktisch abgeschlossen. Seither endet die Schiffahrt bis auf weiteres noch stets bei der Brücke, die das deutsche mit dem schweizerischen Rheinfelden verbindet. * * * * Der Hochrhein zwischen der Konzilsstadt Konstanz und der Doppelstadt Rheinfelden gehört zu den schönsten Strecken des Rheins. - Das ist ein Satz, der sich wie von selbst schreibt. Er folgt gleichsam dem natürlichen Lauf der Flußmorphologie des Stroms, der im Tal zwischen badischem Schwarzwald und Schweizer Voralpen nicht nur die Turbinen der Kraftwerke, sondern auch den Tourismus antreibt. Nun ist Schönheit unterdessen, mit Theodor Adorno zu sprechen, ein «verbrauchter Spezialfall». Ströme fließen bekanntlich um so besser, je geringer die Widerstände. Die Landschaft hat viel von ihrer Schroffheit eingebüßt, die sich in den Zeilen Goethes über den Strom noch findet: Ragen Klippen
dem Sturz entgegen, Schäumt er unmutig Stufenweise Zum Abgrund (usw.) Historisch ist der romantische Rhein ein Spezialfall, insofern die Romantik nur eine Epoche war, der andere nachfolgten und noch mehr vorausgingen; geographisch ist er auf die gleiche Weise, weil er - oder das, was man dafür hält - nur ein Teilstück des Ganzen ist. Was man dafür hält, denn das 'Romantische' des Hochrheins geht auf eine Zeit zurück, die weit vor ihr liegt. Obwohl der Hochrhein Grenzfluß zwischen Schweiz und Deutschland ist, überwiegt das «schweizerische Gefühl». Zum Teil, weil sich in Deutschland keine in dieser Form historische Landschaft und nur wenige noch intakte Prospekte finden. Zum anderen, weil sich die Nachbarn den Rhein nicht immer längs, sondern durchaus auch quer teilen. So wird man, dem Fluß folgend, zum mehrfachen Grenzübertritt genötigt, der hier, an der inneren Außengrenze der Europäischen Union noch mehr sein kann als die bloße Formalie. Deshalb ist diese Landschaft auch so buchstäblich außergewöhnlich: hier ist jeder, der nicht hier wohnt, ein Fremder, die in eine Heimat eintritt wie in eine Stube, die durchaus auch eine Werkstatt oder ein Museum sein kann, an deren Eingang wir mal freundlich, mal mürrisch, mal mißtrauisch, aber selten unerkannt von den Hausherrn begrüßt werden. |
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H.J.Tümmers, Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München 1994 | |||
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